Coronavirus – 10 arbeitsrechtliche Fragen von Anwälten beantwortet

Wir Anwältinnen von der Anwaltskanzlei @vocate wurden in den vergangenen Tagen von verschiedenen Unternehmen angefragt, welche arbeitsrechtlichen Regeln im Hinblick auf den Coronavirus gelten. Die Antworten zu den uns am häufigsten gestellten Fragen finden Sie in diesem Blog. Die Antworten sind genereller Natur und sollen einen Anhaltspunkt geben, wie die Rechtslage zu beurteilen ist. Es kann jedoch sein, dass sich die rechtliche Situation im Einzelfall aufgrund der Besonderheiten dieses Falles anders gestaltet. Wir empfehlen daher, den Einzelfall jeweils genau zu prüfen.

Welche Massnahmen müssen Arbeitgebende infolge des Coronavirus ergreifen?

Gemäss Art. 328 Abs. 2 OR und Art. 6 des Arbeitsgesetzes sind die Arbeitgebenden verpflichtet, alle Massnahmen zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmenden zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig sind, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. In Bezug auf den Coronavirus bedeutet dies, dass die Arbeitgebenden die Massahmen zu ergreifen haben, die notwendig sind, um Arbeitnehmende möglichst vor eine Ansteckung mit dem Virus zu schützen. Von den Behörden angeordnete Massnahmen sind im Betrieb strikte umzusetzen. Des Weiteren sollten die Arbeitgebenden ihre Arbeitnehmenden auch anweisen, bei der Arbeit die von den Behörden empfohlenen Massnahmen einzuhalten. Für den Moment bedeutet dies, dass vorallem die Weisungen erteilt werden sollten, bei Husten oder Fieber zu Hause zu bleiben, regelmässig gründlich die Hände zu waschen, in Armbeuge oder Taschentuch zu husten oder zu niessen, auf Händeschütteln zu verzichten, etc. Zudem sollten die Arbeitnehmenden angewiesen werden, auf Arbeit an grossen Messen, die Teilnahme an Konferenzen mit einer sehr grossen Anzahl von Teilnehmern sowie auf Geschäftsreisen in besonders vom Coronavirus betroffene Gebiete zu verzichten. Auch können z.B. Weisungen, im Homeoffice statt im Büro zu arbeiten sowie auf persönliche Meetings zu verzichten und stattdessen Besprechungen mittels Telefon- oder Videokonferenz abzuhalten, sinnvolle Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden sein. Schliesslich empfehlen wir, die Arbeitgebenden ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie im Fall, in dem sie in der Freizeit freiwillig in ein besonders betroffenes Gebiet reisen und danach krank werden oder Quarantänemassnahmen gegen sie ergriffen werden, unter Umständen keinen oder nur einen reduzierten Lohnanspruch haben.

Die obenstehenden Weisungen werden am besten schriftlich erteilt, z.B. per e-mail oder mittels Aushängen am Arbeitsplatz. In diesen schriftlichen Mitteilungen sollte auch auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden, die bei Nichteinhaltung der Weisungen drohen. Schliesslich sollte die Nichteinhaltung der Weisungen dann auch tatsächlich sanktioniert werden (je nach Schweregrad Abmahnung, Lohnkürzung bis in den allerschlimmsten Fällen zur Kündigung).

Setzen Arbeitgebende die von den Behörden aufgrund der besonderen Lage vorgeschriebenen Schutzmassnahmen nicht um, so können ihre Arbeitnehmenden im schlimmsten Fall die Arbeit verweigern. Zudem besteht das Risiko, dass Arbeitgebende im Fall, in dem Mitarbeitende am Coronavirus erkranken, haftbar gemacht werden.

Aufgrund der besonderen Lage sollte jedes Unternehmen so schnell wie möglich einen Pandemieplan erstellen. In diesem sind zum einen die Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden aufzuführen, die je nach Gefahrenlage zu ergreifen sind. Zum anderen sind darin die Verantwortlichkeiten für den Pandemiefall zu regeln. Schliesslich sollte der Pandemieplan die Massnahmen enthalten, die sicherstellen, dass der Betrieb auch bei der Erkrankung von sehr vielen Mitarbeitern möglichst aufrechterhalten werden kann. Ein Handbuch zur Ausarbeitung eines Pandemieplanes für KMU finden sich auf der Internetseite des Bundesamtes für Gesundheit .

Müssen Mitarbeitende ein Arztzeugnis vorlegen, die aufgrund der Weisung, bei Husten und Fieber zu Hause zu bleiben, nicht zur Arbeit erscheinen?

Die Beweislast für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt beim Arbeitnehmer bzw. bei der Arbeitnehmerin. Arbeitgebende sind daher bei einer Abwesenheit von Arbeitnehmenden nur dann zur Zahlung des Lohnes verpflichtet, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmenden durch ein Arztzeugnis bewiesen ist. Diese Regel gilt auch im Fall, in dem ein Arbeitnehmer aufgrund der Weisung, bei Husten und Fieber zu Hause zu bleiben, nicht zur Arbeit erscheint. Daher müssen Mitarbeitende auch in dieser Situation ein Arztzeugnis vorlegen. Legen die Arbeitnehmenden kein Arztzeugnis vor, so gilt ihre Abwesenheit als unentschuldigt und sie haben keinen Lohnanspruch. Unter Umständen ist es jedoch in der derzeitigen Situation sinnvoll, dass die Arbeitgebenden mit ihren Mitarbeitenden vereinbaren, dass für eine gewisse Zeit auch ohne Vorlage eines Arztzeugnisses der Lohn weiterhin bezahlt wird.

Darf ein Arbeitgeber verlangen, dass ihm die Arbeitnehmenden mitteilen, wenn sie Symptome aufweisen, die auf eine Erkrankung am Coronavirus hinweisen?

Grundsätzlich müssen Arbeitnehmende ihrem Arbeitgeber nicht mitteilen, woran sie erkrankt sind. Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch darauf, über allfällige Krankheitssymptome oder Diagnosen informiert zu werden. In einer Pandemiesituation wie der vorliegenden besteht jedoch unseres Erachtens aufgrund der arbeitsrechtlichen Treuepflicht eine Ausnahme von dieser Regel. Unserer Ansicht nach müssen daher Arbeitnehmende, die Symptome einer Erkrankung am Coronavirus aufweisen, ihren Arbeitgeber darüber informieren, sofern die Gefahr besteht, dass sie andere Mitarbeitende anstecken bzw. angesteckt haben.

Können Arbeitgebende ihren Mitarbeitenden Ferien in besonders gefährdeten Gebieten oder die Teilnahme an Grossanlässen verbieten?

Das Weisungsrecht der Arbeitgebenden erstreckt sich nicht auf die Ferien- und Freizeitgestaltung ihrer Arbeitnehmenden. Die Arbeitgebenden können daher ihren Mitarbeitenden in aller Regel nicht verbieten, während den Ferien in besonders gefährdete Gebiete zu reisen oder in der Freizeit an Veranstaltungen oder Anlässen teilzunehmen.

Verbringt ein Arbeitnehmer in einem Hochrisikogebiet Ferien und muss der Arbeitgeber infolgedessen davon ausgehen, dass von diesem Mitarbeiter eine grosse Ansteckungsgefahr für die anderen Mitarbeitenden ausgeht, so kann und muss der Arbeitgeber die Weisung erteilen, dass der betreffende Mitarbeiter für eine gewisse Zeit nicht im Betrieb arbeiten darf. Wenn möglich sollte diesfalls Homeoffice-Arbeit angeordnet werden. Ist dies nicht möglich und wusste der Mitarbeiter bereits bei Reiseantritt, dass sich sein Ferienziel in einem Hochrisikogebiet befindet, reiste er aber trotzdem in dieses Gebiet, so hat er für die Zeit, in der er nicht arbeiten kann, infolge Selbstverschuldens keinen oder nur einen gekürzten Lohnanspruch. Das gleiche kann auch bezüglich der Teilnahme an Veranstaltungen und Grossanlässen gelten, sofern nachgewiesen werden kann, dass damit gerechnet werden musste, dass am Anlass eine erhöhte Ansteckungsgefahr droht.

Haben Arbeitnehmende, die nicht zur Arbeit erscheinen, weil sie unter einer von den Behörden angeordneten Quarantäne stehen, einen Lohnanspruch?

Werden Arbeitnehmende von den Behörden unter Quarantäne gestellt, so ist zu prüfen, ob sie im Homeoffice arbeiten können. Ist dies möglich, so haben die Arbeitnehmenden einen Lohnanspruch, sofern sie ihre Arbeitsleistung auf diese Weise erbringen. Ist Homeoffice-Arbeit nicht möglich, ist die Frage, ob ein Lohnanspruch besteht, sehr komplex.

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz «ohne Arbeit kein Lohn». Dies bedeutet, dass Arbeitnehmende, die keine Arbeitsleitung erbringen, keinen Lohnanspruch haben. Von dieser Regel gibt es jedoch Ausnahmen. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn ein Arbeitsverhinderung auf unverschuldete Gründe zurück zu führen ist, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, d.h. ihn individuell betreffen (typische Beispiele sind Krankheit oder Unfall). Eine solche Konstellation liegt vor, wenn die Behörden einen Arbeitnehmer unter Quarantäne stellen, weil dieser Kontakt mit einer Person hatte, die am Coronavirus erkrankt ist. Diesfalls liegt in aller Regel eine unverschuldete, individuelle Massnahme vor und der Arbeitnehmer hat daher einen Lohnanspruch für die Zeit der Quarantäne. Wird dagegen ein ganzes Gebiet unter Quarantäne gestellt, so stellt sich die Frage, ob die Arbeitsverhinderung in diesem Fall ebenfalls noch als Grund zu betrachten ist, der in der Person des Arbeitnehmers liegt. Ein Teil der Rechtslehre bejaht diese Frage und geht damit von einem Lohnanspruch aus. Der andere Teil verneint eine individuelle Leistungsverhinderung und nimmt eine objektive Verhinderung («höhere Gewalt») an, bei der der Grundsatz «ohne Arbeit kein Lohn» gilt. Es ist daher rechtlich nicht klar, ob im Fall, in dem Arbeitnehmende nicht zur Arbeit erscheinen können, weil ihr Wohngebiet unter Quarantäne gestellt wurde, einen Lohnanspruch haben oder nicht. Wir sind der Meinung, dass in einem solchen Fall ein Lohnanspruch wohl eher zu verneinen ist.

Haben Arbeitnehmende, die nicht zur Arbeit erscheinen, weil der Arbeitgeber ihnen gegenüber eine Quarantäne angeordnet hat, einen Lohnanspruch?

Es kann auch die Situation eintreten, dass die Behörden keine Quarantäne anordnen, in der jedoch der Arbeitgeber Arbeitnehmenden als Vorsichtsmassnahme die Weisung erteilt, dass diese zum Schutz der anderen Arbeitnehmenden zu Hause bleiben müssen, weil sie sich z.B. in einem besonders gefährdeten Gebiet aufgehalten haben. Diese Situation wird rechtlich anders beurteilt, als wenn eine behördlich angeordnete Quarantäne vorliegt. Auch für diesen Fall empfehlen wir, zuerst zu prüfen, ob im Homeoffice gearbeitet werden kann. Ist dies nicht möglich, stellt eine durch den Arbeitgeber angeordnete Quarantäne rechtlich eine Freistellung dar. Der Arbeitgeber hat daher für die Zeit der von ihm angeordneten Abwesenheit weiterhin Lohn zu bezahlen. Eine Ausnahme von der Lohnzahlungspflicht kann in den in Ziff. 4 beschriebenen Fällen bestehen, in denen die Quarantäne angeordnet werden muss, weil sich der Arbeitnehmer zuvor wissentlich einer Risikosituation ausgesetzt hat. In diesen Fällen besteht unter Umständen infolge Selbstverschuldens kein oder nur ein reduzierter Lohnanspruch.

Haben Arbeitnehmende, die nicht aus den Ferien zurückkehren können, weil ihr Hotel unter Quarantäne gestellt wurde oder weil aus dem betreffenden Land eine Einreisesperre verfügt wird, einen Lohnanspruch?

Für die rechtzeitige Rückkehr aus den Ferien sind die Arbeitnehmenden verantwortlich. Kehren sie verspätet aus den Ferien zurück, so haben sie für die Zeit der Verspätung grundsätzlich keinen Lohnanspruch.

Kann der Arbeitgeber anordnen, dass Arbeitnehmende während der Zeit einer Quarantäne oder wegen einer durch den Coronavirus bedingten, schlechten Auftragslage Ferien beziehen oder Überstunden kompensieren müssen?

Gemäss Art. 329c Abs. 2 OR bestimmt zwar der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Ferien. Er muss den Arbeitnehmenden den Zeitpunkt der Ferien jedoch in der Regel mindestens drei Monate im Voraus mitteilen. Eine kurze Ankündigungsfrist ist zulässig, wenn die kurzfristige Anordnung von Ferien aus betrieblichen Gründen notwendig ist.

Erteilt der Arbeitgeber die Weisung, dass Mitarbeitende zum Schutz der anderen Arbeitnehmenden zu Hause bleiben müssen  (und können die Mitarbeitenden nicht im Homeoffice arbeiten), stellt sich die Frage, ob eine betriebliche Notwendigkeit für diese Anordnung gegeben ist und daher Ferien kurzfristig angeordnet werden dürfen. Eine betriebliche Notwendigkeit ist angesichts des momentan in der Schweiz noch nicht sehr grossen Risikos einer Ansteckung wohl in den meisten Fällen zu verneinen. Daher dürfen Abwesenheiten wegen einer vom Arbeitgeber angeordneten Quarantäne in aller Regel nicht als Ferien angerechnet werden. Es muss jedoch der besondere Einzelfall geprüft werden. Arbeitgebende dürfen grundsätzlich auch nicht einseitig anordnen, dass in der Zeit einer Quarantäne Überstunden kompensiert werden müssen; denn die Kompensation von Überstunden durch freie Zeit setzt die Zustimmung des Arbeitnehmers voraus. Ausnahmen bestehen, wenn dem Arbeitgeber im Arbeitsvertrag das Recht eingeräumt wurde, alleine über die Überstundenkompensation zu bestimmen.

Gehen die Aufträge eines Unternehmens infolge des Coronavirus so zurück, dass der Arbeitgeber nicht mehr alle Arbeitnehmenden beschäftigen kann, so dürfen Betriebsferien angeordnet werden. Solche Zwangsferien, die aus betrieblichen Gründen notwendig sind, können auch kurzfristig und ohne Berücksichtigung der üblichen Ankündigungsfrist von drei Monaten angeordnet werden.

Darf der Arbeitgeber anordnen, dass Arbeitnehmende Überstunden leisten müssen, weil eine Vielzahl von Mitarbeitenden infolge des Coronavirus nicht arbeiten können?

Arbeitnehmende sind verpflichtet, Überstunden zu leisten, wenn die Überstundenarbeit betrieblich notwendig und den betreffenden Mitarbeitenden zumutbar ist. Fallen infolge des Coronavirus eine Vielzahl von Mitarbeitenden aus, kann der Arbeitgeber somit verlangen, dass die anderen Arbeitnehmenden Überstunden leisten.

Dürfen Arbeitnehmende, die zu Hause kranke Kinder betreuen müssen, der Arbeit fernbleiben?

Arbeitgebende haben Mitarbeitenden mit Familienpflichten gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses die zur Betreuung kranker Kinder erforderliche Zeit freizugeben, maximal jedoch drei Arbeitstage pro Krankheitsfall. Die Arbeitnehmenden haben für diese Zeit Anspruch auf Lohn. Allerdings haben sie sich um eine möglichst baldige anderweitige Betreuung zu bemühen.

Haben Sie weitere Fragen? @vocate hilft Ihnen gerne weiter.