Erbrechtsrevision

Das schweizerische Erbrecht wurde revidiert. Die Änderungen treten am 1.1.2023 in Kraft. Nachfolgend werden die neuen Regelungen betreffend Pflichtteil dargelegt.

1. Verlust des Pflichtteilsanspruchs bereits im Scheidungsverfahren

Bisher hatten erst geschiedene Ehegatten zueinander kein gesetzliches Erbrecht mehr. Diese Regelung gilt weiter.

Neu verliert der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteilsanspruch bereits, wenn beim Tod des Erblassers ein Scheidungsverfahren bei Gericht hängig ist oder dieses einseitig hätte eingeleitet werden können. Der überlebende Ehegatte kann in diesem Fall keine Ansprüche mehr aus Verfügungen von Todes wegen erheben. Der Verlust des Pflichtteilsschutzes wird somit zeitlich vorverschoben.
Diese Regelung gilt,

  • wenn das Scheidungsverfahren auf gemeinsames Begehren eingeleitet wurde oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt wird
    oder
  • wenn die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben.

In einem solchen Fall werden die Pflichtteile so berechnet, wie wenn der Erblasser nicht verheiratet wäre.
Wollen die Ehegatten den Pflichtteilsanspruch auch während eines Scheidungsverfahrens beibehalten, so müssen sie dies neu ausdrücklich anordnen.
Der überlebende Ehegatte bleibt aber bis zur Rechtskraft der Scheidung gesetzlicher Erbe. Liegt keine Verfügung von Todes wegen vor, bleibt der überlebende Ehegatte nach seinem gesetzlichen Erbanteil begünstigt, bis ein rechtskräftiges Scheidungsurteil vorliegt. Wer in diesem Fall – es liegt keine Verfügung von Todes wegen vor – seinen Ehegatten nach dem Vorliegen der oben erwähnten Voraussetzungen nicht erbrechtlich begünstigen möchte, muss dies mittels letztwilliger Verfügung kundtun.
Diese Regelungen gelten bei eingetragener Partnerschaft sinngemäss.

2. Pflichtteile

Auch die Pflichtteilsregelungen wurden angepasst.
Einerseits beträgt der Pflichtteil neu generell die Hälfte des gesetzlichen Erbspruches. Anderseits sind die Eltern der Erblasserin/des Erblassers nicht mehr pflichtteilsberechtigt.

2.1.  Neu beträgt der Pflichtteil die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs

Bisher betrug der Pflichtteil der Nachkommen drei Viertel des gesetzlichen Anspruchs. Der Pflichtteil der Eltern, des überlebenden Ehegatten, der eingetragene Partnerin oder des eingetragenen Partners betrug bereits bisher jeweils die Hälfte des gesetzlichen Anspruches.

Neu beträgt der Pflichtteil generell die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches. Das heisst, dass der Pflichtteil der Nachkommen verringert wird. Dieser beträgt neu nur noch die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs. Entsprechend vergrössert sich die Erbquote, über die die Erblasserin/der Erblasser frei verfügen kann. Dies vereinfacht z.B. Meistbegünstigungen oder Nachfolgeregelungen bei KMU.

2.2.  Neu sind die Eltern nicht mehr pflichtteilsberechtigt

Bisher waren die Eltern einer Erblasserin/eines Erblassers pflichtteilsberechtigt, wenn dieser keine Nachkommen hatte.

Neu sind die Eltern der Erblasserin/des Erblassers grundsätzlich nicht mehr pflichtteilsberechtigt.

Damit sind neu nur noch die Nachkommen, der Ehegatte oder die eingetragene Partnerin / der eingetragene Partner pflichtteilsberechtigt. Alle anderen gesetzlichen Erben besitzen keine Pflichtteilsberechtigung. Damit wird die Erbquote vergrössert, über die frei verfügt werden kann.

2.3.   Vergleich der Erbquoten im bisherigen und im neuen Erbrecht

 

Vergleich Erbquoten bisheriges neues Erbrecht

3. Nutzniessung

Bisher konnte der Erblasser dem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am ganzen ihnen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden.

Diese Nutzniessung trat an die Stelle des dem Ehegatten neben diesen Nachkommen zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Neben dieser Nutzniessung betrug der verfügbare Teil einen Viertel des Nachlasses. D.h., dass der Pflichtteilsanspruch der Nachkommen von drei Viertel des Nachlasses mit einer Nutzniessung zu Gunsten des überlebenden Ehegatten belastet werden konnte. Zusätzlich konnte die verfügbare Quote von einem Viertel frei verfügt werden. Diese konnte z.B. im Sinne einer Meistbegünstigung dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu Eigentum vermacht werden.

Bei Wiederverheiratung entfiel die Nutzung auf jenem Teil der Erbschaft, der im Zeitpunkt des Erbganges nach den ordentlichen Bestimmungen über den Pflichtteil der Nachkommen nicht hätte mit der Nutzniessung belastet werden können.

Neu gilt die Nutzniessungsregelung auch für die eingetragene Partnerin / den eingetragenen Partner.

Zudem beträgt neben dieser Nutzniessung neu der verfügbare Teil die Hälfte des Nachlasses. Die verfügbare Quote des Nachlasses wird um einen Viertel erhöht.

Die bisherige Wiederverheiratungsregelung gilt neu sinngemäss, wenn eine neue eingetragene Partnerschaft begründet wird.

Beispiel: Herr W stirbt. Er hinterlässt die Witwe X und die Nachkommen Y und Z. Herr W hat seiner Frau einerseits die Nutzniessung an der Erbschaft der Nachkommen eingeräumt und ihr anderseits die verfügbare Quote des Nachlasses zu Eigentum zugeschieden.

Bisherige Regelung: Die Witwe X hat die Nutzniessung an drei Vierteln des Nachlasses, der im Eigentum der Nachkommen Y und Z steht, und erhält zusätzlich einen Viertel des Nachlasses zu Eigentum.

Neue Regelung: Die Witwe X hat die Nutzniessung an der Hälfte des Nachlasses, der im Eigentum der Nachkommen Y und Z steht, und erhält die andere Hälfte des Nachlasses zu Eigentum. Die Witwe X erhält im Verhältnis zur bisherigen Regelung einen Viertel des Nachlasses mehr zu Eigentum.

 

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